Schlagzeilen, Skandale, Sensationen Wie Medien und Journalisten heute agieren - Kurt W. Zimmermann

Tom Zahner

Buchvorstellung

Michael Jackson steht nicht nur für einen Ausnahmekünstler, Musiker und Tänzer der Horizonte erreichte wie kaum ein anderer. Michael Jackson steht (leider) auch für Schlagzeilen, Skandale und Sensationen.

Der Schweizer Kurt W. Zimmermann, Medienkolumnist und Unternehmensberater, erklärt in seinem neuen Buch bissig, direkt und amüsant wie die heutigen (v.a. Print-) Journalisten funktionieren.

Wie konstruiert man einen Skandal? Wie werden Prominente zu Medienopfern? Wer wissen will, wie Storys entstehen und Kampagnen anrollen, Journalisten mit Prominenten umgehen und die politischen und wirtschaftlichen Realitäten der Branche sich wandeln, muss dieses Buch zur Hand nehmen.

Mit Erlaubnis des Autors Kurt W.Zimmermann dürfen wir hier auf jackson.ch einen kurzen Auszug aus dem Buch „Schlagzeilen, Skandale, Sensationen“ veröffentlichen:

 

Schrauben, aufpumpen, zuspitzen
In fünf Minuten vom Laien zum Medienprofi. Ein kleiner Grundkurs in praktischem JournalismusWir leben in einer skandalösen Welt. Eben erst platzte der Prügel-Skandal in Kriens (Blick). Zuvor flog der Dioxin-Skandal im Hirschacker auf (Basler Zeitung), dazu der Schöngrün-Skandal in Solothurn (20 Minuten) und der Pflegeheim-Skandal in Adliswil (Tages-Anzeiger).Kommt Ihnen alles nicht so bekannt vor. Macht aber nichts, Skandal ist Skandal.
Natürlich können wir normale Zeitungsleser den Skandalismus all dieser Skandale gar nicht mehr richtig mitbekommen. Sie gehen im Meer der Skandale unter. Pro Jahr fällt das Wort Skandal in unserer Presse etwa 7000 Mal.
Wir sind damit auf dem Feld der Aufmerksamkeitsökonomie. Medien kämpfen untereinander nicht primär um Auflagen und Publikumszahlen. Sie kämpfen um Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit steigt, je lauter die Sirene tönt.

Der Kampf um die Aufmerksamkeit, das macht ihn speziell, ist eine rein journalistische Domäne. Hier können die Marketingspezialisten aus den Verlagsetagen nichts ausrichten. Geld spielt auch kaum eine Rolle. Aufmerksamkeit entsteht durch Inhalte, verdichtet in Storys und Sendungen. Je sensationeller und kontroverser die Inhalte, umso höher die Chance auf Aufmerksamkeit. Es geht um Schlagzeilen, Skandale, Sensationen.

Dies führt unvermeidlich zur Eskalation und Dramatisierung. Der Inhalt muss sich von einer simplen Nachricht durch einen sogenannten Spin abheben – also etwas, was ihn emotionaler dreht. Die tiefste Eskalationsebene ist in der Regel der „Wirbel“. Die Steigerungsstufen sind der „Konflikt“, der „Krach“, die „Affäre“, die „Krise“ und der „Skandal“.

Die Erzeugung des Skandals entsteht durch ein dreistufiges Modell der journalistischen Alltagsarbeit, bei dem wir einen kleinen Einblick in die Journalistensprache bekommen. Es beginnt erstens mit dem Schrauben, auch Drehen genannt. Dann folgt zweites das Aufpumpen, auch Aufblasen genannt. Zum Schluss folgt das Zuspitzen, auch Schärfen genannt.

1. Das Schrauben: Hier wird die Story erst ein Dreh verpasst. Wenn etwa Bundesrat Burkhalter ein neues AHV-Gesetz plant, besteht das Schrauben meist im Aufbau von Gegenpositionen. Der Journalist klappert dann ein Dutzend politischer Gegner von Burkhalter ab, dazu den Preisüberwacher, vier Experten und einen Soziologen. Manche sind gegen das neue Gesetz, selbst wenn sie vorher noch nie davon gehört hatten. „Riesenwirbel „m Burkhalter-Pläne“ ist nun als erster Aufmacher sauber gestützt.
2. Das Aufpumpen: Hier wird die Story im zweiten Schritt auf die höhere Ebene geschoben. Der Journalist klappert nun alle Pressesprecher, Lobbyisten, PR-Berater und Beamten ab, die er im Bundeshaus kennt. Er fragt, wie Burkhalters geplantes Gesetz im Bundesrat aufgenommen worden sei. Er bekommt Andeutungen zu hören, im Justizdepartement sei man etwas überrascht und mit dem Gesetz nicht hundertprozentig glücklich. „Riesenkrach im Bundesrat – Burkhalter unter Druck“ ist nun als Aufmacher sauber gestützt.
3. Das Zuspitzen: Hier wird die Story auf ihr finales Potenzial ausgetestet. Ideal ist nun das Auftauchen einer Aktennotiz, die man als „Geheimpapier“ deklarieren kann. Sehr hilfreich ist eine öffentliche Äusserung eines anderen Bundesrats zu Burkhalters Ideen. Ideal ist auch eine kleine Indiskretion wie diese, dass ein Regierungskollege von den Gesetzesplänen Kenntnis hatte, ein anderer aber vielleicht nicht. Mindestens ein Aspekt davon trifft fast immer zu. „Staatskrise – Regierung völlig gespalten“ ist nun als Aufmacher sauber gestützt.

Neben dem Aufmacher über die Staatskrise steht an diesem Tag ein gepfefferter Kommentar des Chefredaktors über das definitive Ende des Kollegialitätsprinzips. Titel: „Mehr als ein Skandal“.

Das Buch kann bei Cede.ch und Amazon bestellt werden:

logo-cedesm    logo-amazon

siehe auch den Themenverwandten Artikel: Die heutige Medienwelt – ein erster Einblick