Über Innovation, Rassenpolitik und Blödsinn

Ueli Meier

Black Or White ging eben in Druck, als die Welt von der Todesnachricht des King of Pop geschockt wurde. In letzter Sekunde fügte Hanspeter Künzler das traurige Kapitel seiner Michael Jackson Biografie hinzu. Black or White wurde zum Verkaufsschlager – nicht nur dank dem glücklichen Zeitpunkt der Veröffentlichung. Das Buch präsentiert dem Leser viele Hintergrundinformationen und drängt trotz Unterteilung in positive und negative Kapitel, keine Meinung auf.

Der auf Musik, Kunst und Fussball spezialisierte Schweizer Journalist lebt seit Jahren in London. Die Neue Zürcher Zeitung, Watch International, Annabelle, Basler Zeitung, St. Galler Tagblatt, Sublime Magazine, Musik Express und Sounds sind nur einige der Medien, in denen seine Artikel publiziert werden.
Hanspeter Künzler führte über tausend Interviews mit Musikern von Fela Kuti über Elton John und Marlyn Manson bis zu Jay-Z. Auf Radio DRS ist er regelmässig zu hören. In den 90er Jahren produzierte er eine eigene Musiksendung auf BBC.

Jackson.ch hat den qualifizierten Journalisten über seine Sicht von Michael Jackson’s kontroverser Karriere befragt.

Herr Künzler, wie würden sie Michael Jackson beschreiben?

Grosser Sänger, genialischer Tänzer, hervorragender Songschreiber – wobei es mich schade dünkt, dass er die Rolle von Quincy Jones in späteren Jahren zu schmälern versuchte. Als Person: ein Kind, das als Opfer erzogen wurde und es später lernte, aus der Opferstellung Vorteile zu holen.

Ihre Biografie enthält gut recherchiertes Hintergrundwissen. Wie haben Sie innert weniger Monaten so viele Informationen gefunden und ausgewertet?

Nach 30 Jahren Erfahrung weiss ich, wie man Quellen findet und liest, wie man Notizen macht, die man fünf Wochen später noch lesen kann. Ausserdem wusste ich sowieso schon einiges über den Background, da ich ein umfassendes Archiv von Presse-Clippings habe. Davon habe ich allerdings höchstens einen Fünftel für brauchbar gehalten, so viel Blödsinn ist über MJ geschrieben worden.

Sie haben sich natürlich auch intensiv mit den Chandler und Arvizo Prozessen befasst. Was denken Sie über die schlimmen Vorwürfe?

Klare Erpressungsversuche.

Die afroamerikanische Musikgeschichte gehört zu Ihren Fachgebieten – Was hat Michael Jackson bewirkt?

Seine Rolle als Teenie-Held baute er mit den Jackson 5 auf, seine Rolle als Neuerer definierte und ergründete er mit Off The Wall und Thriller, danach bewegte er sich in einer Star-Stratosphäre, wo es gar nicht mehr gross drauf ankam, was er tat, so lang er es tat: Allein schon in seiner Person und in dem, was er erreicht hatte, war er eine Inspiration für die schwarze amerikanische Musikszene. Es gab natürlich auch Gegenstimmen, solche, die glaubten, durch sein eigentümliches Auftreten schade er dem guten, schwarzen Ton.

Michael Jackson hat lange zu seiner Hautkrankheit Vitiligo geschwiegen. Wieso hat seine äussere Wandlung keine grössere Ablehnung bei der afroamerikanischen Bevölkerung hervorgerufen?

Sein Genius und sein Erfolg haben ihn halt wirklich unverletzlich gemacht – bis zu einem gewissen Grad. Ende der Sixties und wiederum in den Eighties war er eine dermassen grosse Inspiration, dass es in den Augen vieler Fans – schwarz oder weiss – alle anderen Überlegungen an den Rand drängte. Schwarze Fans wussten zudem, wie schwer es ist, mit einer schwarzen Haut Erfolg zu haben, und brachten Verständnis auf für seine Desperation.

Gemäss ihrer Biografie kamen Sie zum Schluss, dass Michael Jackson tatsächlich an Vitiligo litt…

So ist es – bestätigt unter anderem durch die Zeugnisse und Reporte, die sein Hautarzt während des Arvizo-Prozesses dem Gericht vorzulegen hatte.

Hat sich Michael Jackson Ihrer Meinung nach wirklich als Afroamerikaner gesehen und war stolz darauf, oder machte er diese Aussagen nur, um seine dunkelhäutigen Fans nicht zu verlieren?

Ich glaube, Michael hat das Kredo von Motown Records in sich aufgesogen, aus Elementen der schwarzen Musikgeschichte eine „farbenblinde“ Popmusik zu machen. Aber natürlich war Michael sehr stolz auf die schwarze Musikgeschichte. Allerdings glaube ich auch, dass er keine politische Faser in seinem Körper hatte. Politik verwirrte ihn. Auch Rassenpolitik. Ich würde MJ nie unterstellen, dass er seine Stolzesbekundungen als Afroamerikaner in den 80er und 90er Jahren nur gemacht habe, um seine dunkelhäutigen Fans nicht zu verlieren. Ich vermute eher, dass er erst zu diesem Zeitpunkt überhaupt anfing, sich mit Rassenpolitik – und dem Gedankengut eines Al Sharpton – auseinanderzusetzen. Don King hatte ihm ja den Floh ins Ohr gesetzt, dass ihn „the white man“ nie zum King werden lasse, selbst dann, wenn er schon jetzt mehr Platten verkauft habe als Elvis…hpkuenzler4

Haben Sie ein Lieblingsalbum von Michael Jackson?

Off the Wall, unglaublich innovativ, Blood on the Dancefloor, unglaublich druckvoll.

Blood On The Dancefloor gehört auch zu meinen Favoriten, allerdings rede ich dann nur von den fünf „neuen“ Stücken. Was ist mit den Remixes? Sind sie nicht schuld, dass das Album zu wenig beachtet wird?

Gerade die Remixes finde ich zum Teil sensationell – besonders die neuen Fassungen von This Time Around und Stranger In Moscow. Diese Remixes dürften aber tatsächlich schuld daran sein, dass das Album mindestens in den USA ignoriert wurde. Remixes sind ja eher ein Dance-Klub-Phänomen gewesen, und in den USA sind solche Klubs eher ein Minoritätenspass. Das breite Fanpublikum, das vor allem nach neuen Songs dürstete, hielt die Remixes wohl für einen „Cop-Out“, sprich: ein Zeichen dafür, dass MJ kreative Ladehemmungen hatte. Dabei war es in meinen Augen eher ein Zeichen dafür, dass er seine Arbeit endlich wieder etwas lockerer angehen konnte, dass er gewillt war, Experimente einzugehen und sich mit frischen Ideen zu befassen. Möglich, dass sein amerikanisches Publikum halt auch konservativer eingestellt war. In den USA ist das Popmusikwesen in den 80er und 90er Jahren wieder einem brachialen Schubladendrang anheimgefallen. Alles muss in effiziente und strikte eingehaltene Vermarktungskategorien passen. Und das tat Blood on the Dancefloor freilich nicht. Was ich persönlich ja höchst interessant finde.

Konnten auch seine Alben in den 90er Jahren die Musikszene derart beeinflussen, wie das seine ersten drei Alben taten?

Ich glaube, mit Dangerous wandelte sich MJ vom genialischen Neuerer zu einem Künstler, der zwar immer noch grossartige Songs zu schaffen vermochte, diese nun aber in den Zeitgeist einzupassen versuchte statt seiner eigenen Nase zu folgen und den Zeitgeist so selber zu prägen. Als Indiz erachte ich die Tatsache, dass er sich nun die Dienste allerhand Erfolgsproduzenten des Momentes sicherte und mit diesen keine grossen Experimente wagte, sondern eher deren Hausstil für seine eigenen Zwecke adaptierte. Derweil er wie gesagt weiterhin fähig war, tolle Songs aus dem Handgelenk zu schütteln, war der Qualitäts- und Innovationspegel nun nicht mehr so durchgehend hoch wie zuvor.

Sie sagten, Michael hätte die Rolle von Quincy Jones zu schmälern versucht. Sie meinen, dass er Quincy Jones in Interviews zu wenig erwähnte?


Nicht zu wenig erwähnt. Aber in den mittleren 80er Jahren scheint er plötzlich gemeint zu haben, Quincy Jones hätte sich zu stark mit MJ’s Lorbeeren geschmückt. Es war einer der Gründe, warum er nach Bad nie mehr mit ihm gearbeitet hat, was ich sehr schade finde.

Im Rolling Stone Spezial Magazin Sounds geben sie History keine gute Note. Was ist beispielsweise mit dem Song Money? Meiner Meinung nach einer seiner innovativsten Stücke.

Money gefällt mir ganz gut – aber besonders innovativ finde ich das Stück ehrlich gesagt nicht. So erinnern mich die synthetischen Streicher an die von mir hochgeschätzten Chic. Mir gefallen andere Songs sehr gut: Stranger in Moscow oder auch This Time Around, aber eben: der Remix gefällt mir noch besser. Und zwei, drei tolle Songs machen nicht unbedingt ein tolles Album aus. Ich bin halt altmodisch: ich höre meine Alben gern als Alben von A bis Z durch – und da kann es dann vorkommen, dass mich ein Lied dermassen irritiert, dass es einen Schatten über das ganze restliche Album wirft.
Auf History ist für mich dieser Song Earth Song. Ich finde den Text banal, den Gesang allzu pathetisch (im Sinne von Pathos) und stellenweise sogar richtiggehend weinerlich (wie mir überhaupt da und dort ein selbstmitleidiger Unterton eher unsympathisch ist). Geschmacksache. D.S. finde ich dann wieder recht beswingt, aber da stösst mir der Text säuerlich auf – ich verstehe die Gefühle, die darin stecken, finde aber, sie seien eher ungelenk ausgedrückt. „Dom Sheldon is a cold man…“. Hmmm. Childhood wäre dann wiederum ein Lied, das ich überspringen müsste – in meinen Ohren klingt das einfach zu sentimental. Unter dem Strich: ein Album, mit Höhen, aber auch mit Tiefen. Meiner Meinung nach. Und natürlich werden Millionen von Fans mit mir ganz und gar nicht einig gehen.

Noch mehr sind wohl anderer Meinung, betreffend ihrer Sicht über die Rolle von Michaels Mutter Katherine Jackson. Wieso meinen sie, dass sie einen negativen Einfluss auf Michael Jackson hatte? Er hat sie über alles geliebt…

Ich habe das im Buch zu erklären versucht, diese unglaubliche Passivität der Frau im Hinnehmen von Joe’s Verhalten, dieser blinde Glauben an die patriarchalischen Hierarchien der Zeugen Jehovas, überhaupt dieser blinde Glauben… das finde ich alles sehr gefährlich, und ich glaube, Katherines Haltung kombiniert mit den mittelalterlichen Himmelsvisionen der Zeugen Jehovas haben sich auf desaströse Weise auf MJ’s Verhalten ausgewirkt.

Wieso denken Sie, hat Michael Jackson seit Invincible im Jahr 2001 kaum neue Songs veröffentlicht?

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass er nach dem Erfolg von Thriller so eine Art Allmachtsfantasien entwickelte. Er glaubte sich scheint’s über alle Kritik erhaben und dachte dann sogar, er könne die Medien nach seinem Gutdünken manipulieren (siehe die unselige Story mit dem Sauerstoffzelt, die er selber in Umlauf brachte).
Dass er dann sogar glaubte, Quincy Jones sei ein Hindernis für die Entwicklung seiner musikalischen Absichten passt für mich ins gleiche Kapitel.
Ich denke, er hat deswegen keine neuen Songs eröffnet, weil sein Ego nach dem Höhenflug von Thriller den nachlassenden Erfolg mit Dangerous und History nur sehr schwer hinnehmen konnte. (wobei er natürlich immer noch wahnsinnig erfolgreich war im Vergleich zur Konkurrenz) Um so schwerer erschüttert war wohl der Glauben an sich selber und damit um so grösser der Bedarf nach „Perfektion“. So wurde es immer schwerer, Songs aufzunehmen, von denen er das Gefühl haben konnte, sie könnten im Vergleich zu Thriller bestehen. Möglich, dass er selber Angst davor bekam, sich der Öffentlichkeit zu stellen und von dieser als „nicht perfekt“ entlarven zu lassen. Ausserdem ist es ja ein bekanntes Phänomen, das nicht nur alle Künstler, sondern alle Sportler und jeden Schüler dann und wann befällt: je besser man es machen will, desto verkrampfter wird man. Es verlässt einen jede Fähigkeit, seine eigene Arbeit beurteilen, die richtigen Entscheidungen fällen oder nur schon „logisch“ denken zu können – die Resultate sind Geknorz, Frust und Enttäuschung.

Die vielen Geschäftspartner, die Michael Jackson im Verlauf seiner Karriere hatte. Welche sind hinter ihm gestanden, welche haben ihn ausgenutzt?

Frank DiLeo und der langjährige Rechtsanwalt John Branca, scheinen mir die besten Leute gewesen zu sein, mit denen er sich umgeben hat. Es scheint mir kein gutes Zeichen zu sein, dass die Familie von Michael derzeit das Testament von Michael anzweifelt und die Stellung – und damit Arbeit – von Branca, der angibt, von MJ als Testamentverwalter angegeben worden zu sein (was ich für absolut glaubwürdig halte). Branca hat vor allem den Eltern von MJ noch nie recht in den Kram gepasst, weil er ihnen oft widersprochen hat und punkto Talent der restlichen Jackson-Brüder ganz anderer Meinung war als sie…

Was hätten Sie Michael Jackson gefragt, wenn Sie die Möglichkeit dazu gehabt hätten?

Show me your record collection.

Welche Michael Jackson Biografie, die sie lasen um sich in das Thema zu versetzen, war die Beste?

Taraborelli ist schon ziemlich unschlagbar, der hat ja auch mit einem Team von Researchers arbeiten können und beschäftigt sich tagaus tagein mit dem Leben nicht nur von Michael Jackson, sondern etwa auch von anderen Superstars wie Madonna, über die er ein ähnlich umfassendes Buch geschrieben hat. Ein Mann auch, der über ein enzyklopädisches Wissen über das Leben in jenen hehren Starsphären zu verfügen scheint und sich dabei selten in Klatsch und Spekulation ergeht. So scheint es mir wenigstens. Ich habe allerdings den Eindruck, dass viele MJ-Fans anderer Ansicht sind.

Wie haben Sie versucht, fragwürdige und falsche Infos von wahrheitsgetreuen zu unterscheiden?

Oft Gefühl, oft Vergleiche. Taraborelli zum Beispiel gibt in der englischen Ausgabe immer genaue Quellen an.

Hat Ihnen die Arbeit an der Michael Jackson Biografie Spass gemacht?

Enorm! Zeit zu haben, sich monatelang nur mit einer Person – und dazu noch mit einer derart faszinierenden Person – intensiv befassen zu können, sowas passiert einem Journalisten selten.

Vielen Dank für die Zeit, die Sie sich für uns Fans genommen haben.

Fragen: Ueli Meier
Fotos: Tom Zahner, Oktober 2009

Die Biografie “Black Or White” kannst du hier bestellen

www.HanspeterKuenzler.com
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