Michael verteidigen – von Thomas A. Mesereau Jr.

Michael verteidigen
Thomas A. Mesereau Jr. – Erschienen im Forum Column, LA Daily Journal, 1. Juli 2009
Übersetzung von Dora Frei Santschi

Der Michael Jackson-Prozess war einmalig. Mehr Medien berichteten darüber als über die Prozesse gegen O.J. Simpson und Scott Peterson zusammen. Die Urteilsverkündigung wurde von Menschen in der ganzen Welt live mitverfolgt. Der King of Pop war populärer als irgendjemand sonst, inklusive Elvis Presley.

Jay Leno, Chris Tucker, Macaulay Culkin, George Lopez und weniger bekannte Berühmtheiten sagten als Zeugen aus. Larry King sagte in Abwesenheit der Jury aus. Der Prozess dauerte 5 Monate, mit über 140 Zeugenaussagen. Über den Prozess wurde 24 Std. am Tag berichtet, inklusive Schauspieler, welche die Verhandlungen nachspielten. All dies betonte die Popularität des Prozesses noch zusätzlich.

Zum Zeitpunkt, als im November 2003 über 70 Polizisten aus Santa Barbara die Neverland-Ranch überfielen, war ich auf dem Weg von Northern California nach LA. Nach mehreren Ferientagen war ich daran, die Vorbereitungen für den im Februar 2004 geplanten Robert Blake Mörder-Prozess wieder aufzunehmen. Mein Telefon rang ununterbrochen mit der verzweifelten Anfrage, nach Las Vegas zu reisen und die Verteidigung von MJ zu übernehmen. Ich lehnte ab da ich keine Möglichkeit sah, zwei Fälle gleichzeitig behandeln zu können.

Nachdem die Richterauswahl im Blake-Prozess begonnen hatte, hatten der Klient und ich eine schwerwiegende Meinungsverschiedenheit, die nicht gelöst werden konnte. Ich konnte von diesem Verteidigungsmandat zurücktreten. Kurz darnach kontaktierte mich Michaels Bruder Randy nochmals. So flog ich nach Florida, wo ich Michael Jackson das erste Mal traf.

3 Wochen später wurde ich informiert, dass Michael mich und meine Firmenpartnerin, Susan Yu, wollte, um ihn zu verteidigen. Wir trafen uns nochmals, um die Formalitäten zu erledigen und das Abenteuer begann.

Als ich Michael das erste Mal traf, sagte er absolut nichts. Er sass abseits und beobachtete die Diskussion. Ich wusste nicht, ob er sich absichtlich so mysteriös benahm oder einfach auf seine Art beobachtend war. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich sehr wenig Informationen um beurteilen zu können, ob er die Taten, für die er angeklagt war, wirklich begangen haben konnte.

Meine Verhalten bewirkte ein enorme Berichterstattung. Ein Anti-Jackson-Journalist erschien sofort in der „The Today Show“ und sagte, ich hätte eine Afro-amerikanische Freundin und würde eine schwarze Kirche besuchen. Die Rechtsanwälte, die ich ersetzte, machten keinen taktvollen Abgang. Einer erschien in der Sendung „Good Morning America“ und berichtete, er sei freiwillig zurückgetreten, da weniger als wünschenswerte Leute MJ umgeben würden. Einige Klatschshows kritisierten meine Erscheinung. Ich nahm an, dass sie für frühere Berater arbeiteten. Das war quasi meine (Feuer)-Taufe.

Am Anfang war Michael sehr unzugänglich. Ich durchsuchte jeden Buchladen und jede Webseite nach Büchern und Artikeln über sein Leben und seinen Charakter. Ich las alles, was ich fand, manches sogar zweimal. Meine Treffen mit Michael bestätigen mein Argwohn gegenüber diesen Anschuldigungen. Er war ein sanfter, gütiger Mensch. Sensibel, intuitiv und kreativ wie er war, schien es unvorstellbar, dass er das Monster war, als das ihn seine Feinde darstellten.

Es ist viel gemacht worden zur den Klagen der Kinderbelästigung. Über die anderen Klagen wurde wenig gesagt. Die Anklage behauptete, dass Jackson eine Verschwörung aufgestellt habe, um eine Familie fälschlicherweise ins Gefängnis zu bringen, Kinder zu missbrauchen und kriminelle Erpressungen zu begehen. Ich kann Ihnen versichern, dass Michael nicht fähig gewesen ist, sich dies auch nur vorzustellen. Je mehr ich mit ihm über diese Kindsmissbrauch-Anschuldigungen sprach, desto überzeugter wurde ich, dass diese Anschuldigungen ein Teil eines Universums/Kreises von „Geldmach-Gelegenheiten“ waren, verursacht von Scharlatanen.

Während meiner ersten Auftritts in Santa Maria erschien die ganze Jackson-Familie in weiss gekleidet. Damit vermittelten sie vereint, kraftvoll und nobel, dass sie unschuldig waren. Ich machte meine erste Aussagen gegenüber den Medien, bezugnehmend auf diese Unschuld und meinen Respekt für das Gericht und die Gemeinde. Meine Aussage enthielt auch Sätze, dass es in diesem Fall nicht darum ging, dass „Rechtsanwälte, oder sonst jemand, berühmt werden wollte“.
Mit diesen Worten wollte ich die Atmosphäre, welche die Verteidigung bisher umgeben hatte, verändern. Ich hatte die Karneval-Stimmung, welche die Jackson’s Verteidigungs-Anwälte bisher umgeben hatte, nie gemocht. Meiner Meinung nach hatten sie wiederholt ihre Freude und ihr Entzücken darüber kundgetan, im Zentrum dieses ganzen Zirkus zu sein. Ihre öffentlichen Aussagen waren sehr zu ihren eigenen Gunsten und zudem amateurhaft. Michael + Randy trauten ihnen nicht. Meine Anti-Anwälte – Aussagen bewirkten eine Kontroverse.

Die Ankläger hatten extreme Vorteile. Anfangs der 90er Jahre hatten zwei grosse Geschworenengerichte in L.A und Santa Barbara Jackson untersucht. Niemand war angeklagt worden. Ein drittes, grosses Gericht klagte ihn 2004 an.

Rechtsanwalt Tom Sneddon war inzwischen in mindestens 2 Ländern (Australien und Kanada) herumgereist, um noch mehr Opfer zu suchen. Das Polizeidepartement von Santa Barbara betrieb eine Webseite, worin sie Informationen über MJ suchten.

Der Prozessrichter wollte keine Zeit versäumen. Die Intrigen um die Verteidigung waren horrend. Viele Anwälte, die meisten von ihnen höchstens mittelmässig, versuchten ständig zu Michael vorzudringen, um meine Position zu untergraben. Die Medien rochen hohe Einschaltquoten und ein grosses Einkommen in einer Verurteilung. Sie waren wie ein Schwarm Heuschrecken, welcher sich auf jeden Schwachpunkt, den sie sahen oder selber kreierten, stürzten. Es wurde viel Effort betrieben um mich zu diskreditieren. Frühere Freundinnen informierten mich, dass sie für unappetitliche Informationen angegangen worden waren. Ich erhielt Anrufe von angeblichen Journalisten, welche mir Begünstigungen anboten für Insider-Informationen. Die allgemeine Sensationslüsternheit war riesig.

Das Gerichtsverfahren war wie ein Karneval. Aus Maulwurfshügeln wurden Berge gemacht. Aufgrund Rückenprobleme ging Jackson eines Morgens ins Krankenhaus für Abklärungen. Ich informierte den Richter sofort darüber. Seine Nachricht war klar: Entweder erschien Michael sofort, oder die Bürgschaft/Kaution (gegen die er aus der Untersuchungshaft freigelassen worden war) würde sich in Luft auflösen. So musste ich in bitten, sofort zum Gericht zu kommen, in welcher Aufmachung auch immer. Sein Auftritt in Pijamahosen war ein Festmahl für die Medien. Aber sie hatten absolut keinen Einfluss auf die Verhandlung oder das Urteil. Ein Richter sagte mir später, dass keiner der Richter Michael’s Hosen wahrgenommen hätten. Dieser Gerichtsfall war geprägt von Schock, Krisen, Durcheinander und Verwirrung.

Viele Male wurde ich nach Neverland aufgeboten, um mit Nachforschungen, Disputen und verschiedenen Krisen umzugehen. Michael schien immer wieder einen neuen „Guru“, Berater oder Anwalt zu haben, welcher ihm sehr überzeugend eine Abweisung der Klage oder den Freispruch garantierten. Es war ein richtiger „See voller Narren“. Aber die Anstrengungen, diese Krisen zu bewältigen, war vergeudete Zeit.

Der Prozess war gekennzeichnet von umstrittenen rechtlichen Entscheidungen. So erlaubte der Prozessrichter z.B., dass die Anklage ihre Darlegungen mit dem Zeigen eines verleumderischen, schrägen englischen Dokumentarfilm welcher behauptete, MJ sei pädophil, beginnen konnte. Die Anklage machte geltend, dass dieser Film ein Motiv-Beweis darstellte.

Auch wurde der Anklage erlaubt aufzuführen, dass MJ andere Klagen betreffend Kindsbelästigung aussergerichtlich geregelt hatte. Die Höhe der Entschädigungen wurde zwar nicht genannt – als ob diese nicht allen bekannt war!
Es wurde auch erlaubt, dass angebliche frühere, ähnliche Kindsmissbrauchs-Vorfälle angeführt werden durften. Der Anklage wurde erlaubt, solche angeblichen Vorfälle der letzten 10 Jahre aufzuführen. Als Zuckerguss auf dem Kuchen erlaubte der Gerichtshof der Anklage, sogenannte „Dritt-Zeugen“ aufzurufen, welche die angeblichen Vorkommnisse beobachtet hatten. Dies ohne jeglichen Anspruch/ Anforderung, dass die aktuellen angeblichen Opfer diese angeblichen Vorkommnisse bezeugen mussten.

Während der Anklage-Widerlegung erlaubte der Gerichtshof der Anklage, ein Polizeiinterview mit einem der angeblichen Opfer abzuspielen. Dieses Interview war einzuordnen unter „Hörensagen“. Die Theorie der Zulässigkeit war, dass ich das Benehmen des angeblichen Opfers herausgefordert hatte, und dass das Tonband für die Widerlegung/Entkräftigung relevant war.

Wenigstens erlaubte der Gerichtshof der Verteidigung, Filmmaterial, welches aus dem Britischen Dokumentarfilm herausgeschnitten worden waren, zu zeigen. In diesen Teilen stritt MJ jeglichen Kindsmissbrauch ab.

Fünf Rechtsanwälte sagten aus. Drei waren von der Anklage bestellt worden, zwei von der Verteidigung. Ich habe immer geglaubt dass Rechtsanwälte die leichtesten Zeugen sind, um jemanden in Verruf zu bringen. Wirf ihnen einige Schmeicheleien hin und die Samen der Arroganz sind gesäht.

Wir hatten mehr gute Tage in diesem Prozess, als man erwarten konnte. Aber das Publikum sah nie, wie viele Zeugen der Anklage unter dem Kreuzverhör verbrannten (diesem nicht standhielten). Der Richter ordnete eine Nachrichtensperre an, welche ich unterstützte. Dies erlaubte mehr Flexibilität im Gerichtssaal. Aber es machte den Prozess sehr anfällig für die verfälschte und verzerrte Wahrnehmung selbsternannter Experten.

Nach den Verhandlungen schaute ich öfters im Fernsehen, wie über den Prozess berichtet wurde. Es war schlimm. Frühere Ankläger aus New York machten sich lustig über das Benehmen einzelner Zeugen. Ihrer Theatralik mangelte es an Substanz und Richtigkeit.

Ich dachte, dass wir in allen Belangen gewinnen würden. Die Medien berichteten das genaue Gegenteil. Eifersüchtige, seichte rechtliche Experten hatten ihre grossen Auftritte, indem sie meine Verteidigung kritisierten. Für sie war ein Anwalt, welcher seine Verteidigung auf unkonventionelle Art durchführte, unvorstellbar. Dieses viele „Hörensagen“ verdiente eine grosse Strafe.

Ich versuchte alles, um die Rassenproblematik möglichst aus dem Prozess auszuschalten. Ich entfernte sofort die „ Nation of Islam“ von Jackson’s öffentlicher Person und ich bat Jackson’s Vater, Kommentare über die Rassenproblematik den Medien gegenüber zu unterlassen. Es war klar, dass Michael eine Person war, die Rassen zusammenbrachte. Leider wollten einige der mittelmässigen Leute, welche ihn umgaben, vom Rassenkonflikt profitieren. Dies verursachte ständig Spannungen.

Meine Reaktion auf diesen Hexenkessel war Gleichmut und ein Leben wie ein Einsiedler.

Unser Team lebte in Appartements weit weg von den Media-Hotels, von Restaurants und Bars. Ich ging meistens um 19.30 Uhr zu Bett und startete um 3 Uhr in der Früh wieder. Unsere Angestellten arbeiteten die ganze Nacht, um die Zeugenbücher zu aktualisieren und andere Arbeiten zu erledigen. Sie hatten einen Schlüssel zu meinem Appartement. Deshalb konnte die Tür zu jeder Tages- und Nachtstunde aufgehen und aktualisierte Ordnern lagen auf einmal auf meinem Treppenabsatz. Während sechs Monaten lebten wir alle so.

Nach Michael’s Tod wurde ich noch manchmal von gewissen nächtlichen Telefonanrufen, die ich während des Prozesses von ihm erhalten hatte, verfolgt. Wie ein Kind, gutherzig, verängstigt und in Panik bat mich Michael jeweils inständig , keine korrupten Feinde in meine Arbeitsleistung einzulassen.
Er schien misstrauisch und skeptisch gegenüber jedem Anwalt zu sein, der wirklich ehrenvoll und professionell handelte. Ich versicherte ihm mehrmals, dass mein Hintergrund mehr mit Zivilrecht wie mit Hollywood zu tun hatte. Der berühmteste Star war sich eine ehrliche und anständige Vertretung nicht gewohnt.

Die 14 Freisprüche kamen einer Rehabilitation gleich.

Trotzdem schreibe ich diesen Artikel mit einem schweren, traurigen Herzen. Michael war eine der gütigsten, nettesten Personen, die ich je getroffen habe. Sein sehnsüchtiger Wunsch, die Welt mit Liebe, Musik und Kunst zu heilen, stand in krassem Gegensatz zur schrecklichen Art und Weise, wie er ausgenützt und ausgebeutet worden war.
Dank ihm ist die Welt ein besser Ort geworden.

Thomas A. Mesereau Jr. Ist ein Partner der Firma Mesereau amp: Yu; Los Angeles. Er war der Hauptverteidiger im Prozess gegen Michael Jackson im Jahr 2005.

September 2010
Übersetzung: Dora Frei Santschi für jackson.ch

Original Text: (Link inaktiv)
mesereauyu.com/defending-michael.html

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